a a a
   

Projekt: Schüler:innengeleitete Gedenkstättenfahrt nach Oświęcim (Auschwitz)

Aktuelles: Interview der Bundeszentrale für politische Bildung mit Jens Augner über Gedenkstättenfahrten.

Im Jahr 2000 fuhr erstmals eine Gruppe von Schüler:innen nach Kraków, um von dort aus die Gedenkstätten in Auschwitz und Birkenau zu besuchen. Vor, während und nach der Fahrt beschäftigten sich die Schüler:innen intensiv mit folgenden Themenschwerpunkten: Nationalsozialistische (NS) Ideologie, Gleichschaltungsprozess, Schule und Alltag im NS, NS-Okkupationspolitik in Polen sowie Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden.

Ziel ist es, dass die Schüler:innen erkennen, dass der NS kein plötzlich über Deutschland hereingebrochenes Übel ist, sondern vielmehr eine Vorgeschichte sowie bestimmte Entstehungsbedingungen hat(te). Zudem stand die multiperspektivische Auseinandersetzung mit Täter:innen, Opfern und Widerstandskämpfer:innen auf dem Programm. Leiter:innen dieser Fahrt waren speziell ausgebildete Schüler:innen, sogenannte Teamer:innen.

Inzwischen ist die Fahrt zu einer jährlich stattfindenden Institution an unserer Schule geworden. Das Besondere an der Durchführung der Fahrt war und ist, dass das Gelingen fast vollständig in den Händen von Schüler:innen liegt. Die begleitenden Lehrkräfte haben lediglich beratende Funktion, leiten die regelmäßige Reflexion der Teamer:innen an und übernehmen vor allem organisatorische Formalien.

Jedes Jahr melden sich interessierte Schüler:innen, um an der Fahrt teilzunehmen oder sich als Teamer:innen in das Projekt einzubringen. Das Konzept hat sich bewährt und wird von Fahrt zu Fahrt weiterentwickelt. Die angehenden Teamer:innen bereiten sich zunächst durch einige Seminare an Wochenenden und eine Vorbereitungsfahrt nach Kraków und ggf. in die Gedenkstätte Auschwitz auf ihre Aufgabe als Fahrtenleitende vor. Zur Ausbildung der Teamer:innen gehören neben dem Inhalt auch einige pädagogische, methodisch-didaktische, kommunikationstheoretische und lernpsychologische Trainingseinheiten.

Dieses Wissen und die Übung in der Gruppenleitung, sollen helfen, Lernprozesse zielsicher anzuleiten und mit den Teilnehmenden die bei den Gedenkstättenbesuchen gewonnenen Eindrücke nachzubereiten. Um die allabendlichen Gesprächsrunden auch interessant und effektiv gestalten zu können, sind die methodischen und lernpsychologischen Aspekte der Ausbildung besonders wichtig.

Das Gelernte bringen die Teamer:innen später, selbstständig planend, den Teilnehmenden nahe. So wird ein offenes, möglichst hierarchiearmes Lernen ermöglicht.

Als Vorbereitung auf die Fahrt findet für die Teilnehmenden ein Vorbereitungstreffen bzw. -wochenende statt. Hier lernen sich Teamer:innen und Teilnehmenden kennen. Die Teilnehmenden bereiten sich in Kleingruppen, angeleitet durch die Teamer:innen, auf die Fahrt vor. Dieses Vorbereitungstreffen ist wichtig für die Dynamik und die Kommunikation der Gruppe und schafft wichtiges inhaltliches Vorwissen.

Auf der Fahrt selber übernehmen die Teamer:innen nicht nur an den Abenden die Verantwortung. Sie organisieren einen zweitägigen Stadtrundgang durch Krakau. An diesen zwei Tagen wird den Teilnehmenden die Geschichte Krakaus während der deutschen Okkupation und die Geschichte der Verfolgung der Juden an ausgewählten Orten näher gebracht.

So durch die abendlichen Arbeitsgruppen und die Stadtrundgänge vorbereitet, besuchen wir die Gedenkstätten Auschwitz und Auschwitz-Birkenau. Während bis vor ein paar Jahren die Teamer:innen auch die Führung durch die Gedenkstätten übernommen haben, führen uns nun aufgrund der neuen Regelungen und der neuen Organisation für Besucher:innen Mitarbeiter:innen der Gedenkstätte. Die Teamer:innen ergänzen die Führungen jedoch mit veranschaulichen Zeitzeug:innentexten. Diese sollen folgende Aspekte verdeutlichen:

  1. die Entmenschlichung der Lagerinsassen um sie psychisch zu Brechen;

  2. das fabrikmäßige Ausbeuten und Morden der Häftlinge;

  3. die klare Hierarchie und die daraus folgende Verhinderung eines Solidaritätsgefühls;

  4. das willkürliche Quälen;

  5. die formalistisch-verwaltungstechnische Organisation des Massenmordes,

  6. dass hinter der abstrakten Opferzahl das Leid von Individuen steht.

Nach den in der Gedenkstätte gewonnenen Eindrücken würde es vielen schwer fallen, direkt wieder in den gewohnten Alltag einzusteigen. Deshalb gibt es einen weiteren Tag, der der Vertiefung und Auswertung der Fahrt dient. Dabei diskutieren wir auch die Frage der von der Erfahrung von Auschwitz ausgehenden Verantwortung für die Zukunft.

Die ganze Woche über haben die Teilnehmenden mehr mit den Teamer:innen zu tun als mit den begleitenden Lehrer:innen. Für die Teamer:innen bedeutet diese Art der Organisation der Fahrt bzw. eines Projektes eine enorme Kompetenzerfahrung und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Sie übernehmen eine wichtige zivilgesellschaftliche Vorbildfunktion, die in der Schule überaus anerkannt ist.

Das Konzept der Eigeninitiative und Mitverantwortung von Schüler:innen wird sukzessive ausgebaut, verbessert und überarbeitet. Es befindet sich in einem stetigen Entwicklungszustand - immer geprägt durch die Schüler:innen, die die Rolle der Teamer:innen übernehmen.

Das Engagement der Schüler:innen, nicht nur der Teamer:innen, sondern auch der Teilnehmenden, zeigt sich immer wieder vor allem auch in der Nachbereitung. So entstand nach der ersten Gedenkstättenfahrt eine Ausstellung, die fast gänzlich von Schüler:innen organisiert worden ist. Diese Ausstellung fand großen Anklang, obwohl ihr zunächst viele (Lehrer:innen) eher skeptisch gegenüberstanden. Zu der Ausstellung wurde eine Führung organisiert, die jeweils über zwei Stunden ging. Die Schüler:innen haben in ihre Führung sowohl inhaltliche Informationen als auch Berichte von Zeitzeug:innen und Gedichte eingebaut. Zeichnungen wurden angefertigt und eine Stehzelle nachgebaut. Alle Klassen sahen zunächst einen einführenden Film. Nach der Führung hatten sie die Möglichkeit, Fragen zu stellen und auch alleine noch einmal durch die Ausstellung zu gehen. Es waren Bücher ausgelegt, die gelesen werden konnten, und Texte wurden auf Band gesprochen, die die Besucher:innen anhören konnten. Auch alle Skeptiker:innen waren am Ende von dieser gelungenen Nachbereitung überzeugt. Parallel zu der Entstehung der Ausstellung entstand eine CD-ROM mit Bildern und Materialien, die das Projekt dokumentierte.

In einigen Jahren organisierten Schüler:innen Lesungen zum 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Diese Lesungen stellten die historischen Erfahrungen, aber auch die Eindrücke der Gedenkstättenbesucher:innen in den Mittelpunkt, unterstützt mit Bildprojektionen und bisweilen einem kleinen Konzert. Dies waren gelungene Projekte, die aus der Gedenkstättenfahrt entstanden.

Aufgrund des großen Interesses an der Gedenkstättenfahrt auch von Lehrer:innen und Eltern gab es inzwischen drei zusätzliche Gedenkstättenfahrten für eben diese. Erstmalig fand eine solche Gedenkstättenfahrt für Schüler:nnen, Lehrer:innen, Eltern und Ehemalige 2009 statt. Alle Teilnehmenden waren beeindruckt von der Professionalität der Teamer:innen und fanden den generationsübergreifenden Austausch mit sehr unterschiedlichen Eindrücken und Sichtweisen sehr anregend.

Das "reguläre" Gedenkstättenfahrtprojekt für Schüler:nnen der 9. und 10. Klassen findet weiterhin, in der Regel im Herbst, statt. Das Projekt ist inzwischen mehrmals ausgezeichnet worden, unter anderem beim Bundeswettbewerb „demokratisch handeln“.

Jens Augner, Oktober 2024

Anbei ein paar PDF-Dateien, die in der Schulzeitung zum Projekt erschienen sind.