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Projekt: Schülergeleitete Gedenkstättenfahrt nach Oswiecim (Auschwitz)

Aktuelles: Interview der Bundeszentrale für politische Bildung mit Jens Augner über Gedenkstättenfahrten.

Im Jahr 2000 fuhr erstmals eine Gruppe von Schülern der Klassenstufen 8 bis 13 nach Krakau, um von dort aus die Gedenkstätte in Auschwitz und Birkenau zu besuchen. Vor, während und nach der Fahrt beschäftigten sich die Schüler intensiv mit folgenden Themenschwerpunkten: NS-Ideologie, der Gleichschaltungsprozess, die NS-Okkupationspolitik und die Geschichte der Verfolgung und der Ermordung der Juden. Ziel ist es, dass die Schüler erkennen, dass der NS kein plötzlich über Deutschland hereingebrochenes übel ist, sondern vielmehr eine Vorgeschichte sowie bestimmte Entstehungsbedingungen aufweist. Zudem stand die multiperspektivische Auseinandersetzung mit Tätern, Opfern und Widerstandskämpfer auf dem Programm. Leiter dieser Fahrt waren speziell ausgebildete Schüler.

Inzwischen ist die Fahrt zu einer jährlich stattfindenden Institution an der Schule geworden. Das Besondere an der Durchführung der Fahrt war und ist immer noch, dass das Gelingen fast vollständig durch die Schüler ermöglicht wird, die Lehrer eher eine beratende Funktion haben. Sie übernehmen vor allem die notwendigen Formalien.

Immer wieder melden sich viele interessierte Schüler, ob als Teilnehmer oder als sogenannte Teamer. Das Konzept hat sich bewährt und wird von Fahrt zu Fahrt weiterentwickelt. Die sogenannten Teamer bereiten sich zunächst durch Seminarnachmittage und eine Vorbereitungsfahrt nach Kraków und in die Gedenkstätte Oswiecim (Auschwitz) inhaltlich auf das Thema Nationalsozialismus vor. Das Gelernte bringen sie später, selbstständig planend, ohne Lehrkörper, "ihren" Teilnehmer nahe. So wird ein offenes, entspanntes Lernen möglichst ohne Hierarchien ermöglicht.

Zur Ausbildung eines zukünftigen Teamers gehört natürlich nicht nur ein inhaltlicher Teil. Auch eine Einführung in die Kommunikationstheorie (z.B. das Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun) und einige pädagogische und didaktische Trainingseinheiten gehören dazu. Dieses Wissen und die Übung in der Gruppenleitung, soll helfen mit den Teilnehmern besser umgehen zu können, wenn sie mit der Gedenkstätte Auschwitz konfrontiert sind. Um die all-abendlichen Gesprächsrunden auch interessant und effektiv gestalten zu können, sind die methodischen und lernpsychologischen Aspekte der Ausbildung besonders wichtig.

Als Vorbereitung auf die Fahrt findet für die Teilnehmer ein Vorbereitungstreffen statt. Hier lernen sich Teamer und Teilnehmer kennen. Die Teilnehmer werden in Kleingruppen von dem Teamer, der auch auf der Fahrt ihre all-abendliche Kleingruppe begleitet, thematisch und inhaltlich vorbereitet. Dieses Vorbereitungstreffen ist wichtig für die Dynamik und die Kommunikation der Gruppe. Es schafft die Voraussetzung für gegenseitiges Vertrauen, welches wichtig ist um offen über entstehende Gefühle während der Fahrt reden zu können.

Auf der Fahrt selber übernehmen die Teamer nicht nur an den Abenden die Verantwortung. Sie organisieren eine zweitägige Stadtführung durch Krakau. An diesen zwei Tagen wird ihnen die Geschichte Krakaus während der deutschen Okkupation und die Geschichte der Verfolgung der Juden an ausgewählten Orten näher gebracht. So durch die Abende und die Führungen vorbereitet, besuchen wir die Gedenkstätte Auschwitz (sowohl das Stammlager als auch Birkenau, das Vernichtungslager) besucht. Mittlerweile werden auch die Führungen durch die Teamer bzw. die begleitenden Lehrer gemacht. Da Teamer in der Regel nur diejenigen Schüler werden, die schon einmal an der Gedenkstättenfahrt teilgenommen haben, wissen sie schon, was sie erwartet. Was zunächst in Kooperation mit der Gedenkstätte und deren "Guides" begann, darf von unserer Schule nun selbstständig durchgeführt werden. Die führenden Teamer werden auch auf diese Aufgabe speziell vorbereitet und haben die Führung bisher immer gut bewältigt. Neben den historischen Fakten werden hier auch Zitate von ehemaligen Häftlingen und Bewachern vorgelesen. Sie sollen die Anonymität beseitigen und folgende Punkte verdeutlichen:

  1. die Entmenschlichung der Lagerinsassen um sie psychisch zu Brechen;
  2. das fabrikmäßige Ausbeuten und Morden der Häftlinge;
  3. die klare Hierarchie und die daraus folgende Verhinderung eines Solidaritätsgefühls;
  4. das willkürliche Quälen;
  5. die formalistisch-verwaltungstechnische Organisation des Massenmordes.

Nach den in der Gedenkstätte gewonnenen Eindrücken würde es vielen schwer fallen direkt wieder in ihr gewohntes Leben einzusteigen. Deshalb schließt die Fahrt mit einem sogenannten Kreativtag, der einen Wochenrückblick beinhaltet sowie einen "Bunten Abend", der von den Teilnehmern gestaltet wird.

Die ganze Woche über haben die Teilnehmer mehr mit den Teamern zu tun als mit den begleitenden Lehrern. Auf Seiten der Teamer bedeutet diese Art der Organisation der Fahrt bzw. eines Projektes eine enorme Kompetenzerfahrung und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Sie übernehmen eine wichtige zivilgesellschaftliche Vorbildfunktion, die in der Schule überaus anerkannt ist.

Das Konzept der Eigeninitiative und Mitverantwortung von Schülern wird jedes Jahr ausgebaut, verbessert und überarbeitet. Es befindet sich in einem stetigen Entwicklungszustand - immer geprägt durch die Schüler, die die Rolle des Teamers übernehmen.

Das Engagement der Schüler, nicht nur der Teamer, sondern auch der Teilnehmer, zeigt sich immer wieder vor allem auch in der Nachbereitung. So entstand nach der ersten Gedenkstättenfahrt eine Ausstellung, die fast gänzlich von Schülern organisiert worden ist. Diese Ausstellung fand großen Anklang, obwohl ihr zunächst viele (Lehrer) eher skeptisch entgegen sahen. Zu der Ausstellung wurde eine Führung organisiert, die jeweils über zwei Stunden ging. Die Schüler haben in ihre Ausstellung Texte sowohl informativer Art, als auch Zitate und Gedichte eingebaut. Zeichnungen wurden angefertigt und eine Stehzelle nachgebaut. Allen Klassen wurde zunächst als Einführung ein Film gezeigt. Sie hatten die Möglichkeit Fragen zu stellen und auch alleine noch einmal durch die Ausstellung zu gehen. Es waren Bücher ausgelegt, die gelesen werden konnten und Texte wurden auf Band gesprochen, die anzuhören waren. Auch alle Skeptiker waren am Ende von dieser gelungenen Nachbereitung überzeugt. Parallel zu der Entstehung der Ausstellung entstand eine CD-ROM mit Bildern und Materialien, die das Projekt dokumentierte.

Zu Beginn dieses Jahres organisierte eine kleine Gruppe von Schülern im Rahmen des 60-jährigen Jubiläums der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz eine Lesung. Diese Lesung fand in unserer Aula statt (ebenso wie die Ausstellung). Kombiniert mit über einen Beamer ablaufenden Bildern der Gedenkstätte und einem kleinen Konzert, war auch dies ein gelungenes Projekt, das aus der Gedenkstättenfahrt entstanden ist.

Aufgrund des großen Interesses an der Gedenkstättenfahrt auch von LehrerInnen und Eltern fand im Jahr 2009 erstmalig eine weitere Gedenkstättenfahrt für SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und Ehemalige statt. Alle Teilnehmenden waren beeindruckt von der Professionalität der TeamerInnen sowie von den unterschiedlichen Eindrücken und Sichtweisen der verschiedenen Generationen. Bei Interesse wollen wir gerne wieder eine derartige Fahrt anbieten.

Das "reguläre" Gedenkstättenfahrtprojekt für SchülerInnen der 9. und 10. Klassen findet weiterhin, in der Regel nach den Herbstferien, statt. Das Projekt ist inzwischen mehrmals ausgezeichnet worden, unter anderem beim Bundeswettbewerb demokratisch handeln.

Anbei ein paar PDF-Dateien, die in der Schulzeitung zum Projekt erschienen sind.

Johanna Düvel, Teamerin 2004, geschrieben im Herbst 2005, ergänzt und überarbeitet von Jens Augner, November 2013